2 Die erste Tätigkeitsstätte
2.1 Bedeutung
Für Sie als Erwerbstätigen ist es also steuerlich von äußerst hoher Bedeutung, ob und wo Sie eine erste Tätigkeitsstätte im Sinne des Einkommensteuergesetzes (EStG) begründen. Denn für berufliche Arbeiten an Ihrer ersten Tätigkeitsstätte können Sie keine Reisekosten wie etwa Verpflegungsmehraufwendungen oder Fahrtkosten mit 0,30 € pro gefahrenem Kilometer in der Steuererklärung geltend machen (bzw. sich steuerfrei vom Arbeitgeber erstatten lassen).
Vielmehr können Sie die Fahrtkosten von der Wohnung zur ersten Tätigkeitsstätte nur in Höhe der Entfernungspauschale abziehen (0,30 € pro Entfernungskilometer, zudem Deckelung bei 4.500 € pro Jahr bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel). Sofern Sie einen Dienstwagen für die Fahrten zur ersten Tätigkeitsstätte nutzen, müssen Sie hierfür zudem einen sogenannten geldwerten Vorteil versteuern.
Wer beruflich außerhalb seiner ersten Tätigkeitsstätte tätig wird, geht regelmäßig einer steuerlich anzuerkennenden Auswärtstätigkeit nach.
Beispiel
Ein Arbeitnehmer verlässt morgens seine Wohnung und fährt statt zu seiner ersten Tätigkeitsstätte zu einem Kunden, um wichtige Vertragsverhandlungen zu führen.
Lösung
Der Arbeitnehmer wird außerhalb seiner Wohnung und seiner ersten Tätigkeitsstätte tätig. Infolgedessen geht er einer Auswärtstätigkeit nach, so dass er Reisekosten als Werbungskosten abrechnen kann (bzw. sich steuerfrei vom Arbeitgeber erstatten lassen kann).
Ein Arbeitnehmer kann pro Dienstverhältnis nur maximal eine erste Tätigkeitsstätte haben.
Hinweis
Steuerlich günstig ist es, wenn Sie gar keine erste Tätigkeitsstätte im steuerlichen Sinne begründen oder wenn Sie häufig außerhalb der ersten Tätigkeitsstätte beruflich tätig sind, denn dann liegt bei Ihren Arbeitseinsätzen in der Regel eine Auswärtstätigkeit (mit der entsprechenden steuerlichen Absetzungsmöglichkeit) vor.
2.2 Ortsfeste betriebliche Einrichtung
Diese muss zudem unterhalten werden
• vom Arbeitgeber,
• von einem verbundenen Unternehmen (z.B. einer Tochtergesellschaft)
oder
• von einem vom Arbeitgeber bestimmten Dritten (etwa einem Kunden oder Entleiher).
Hinweis
Fahrzeuge, Flugzeuge und Schiffe sind keine ersten Tätigkeitsstätten. Das gilt auch für das häusliche Arbeitszimmer des Arbeitnehmers („Homeoffice“).
Hingegen werten die Finanzämter auch Baucontainer auf einer Großbaustelle, die längerfristig mit dem Erdreich verbunden sind (z.B. Baubüros), als ortsfeste betriebliche Einrichtung.
2.3 Zuordnung durch den Arbeitgeber
Ortsfeste betriebliche Einrichtungen werden zur ersten Tätigkeitsstätte, wenn Sie als Arbeitnehmer diesen dauerhaft zugeordnet wurden. Neben dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen des Arbeitgebers prüfen Finanzämter auch anhand ergänzender Absprachen und Weisungen, ob eine solche Zuordnung vorliegt.
2.3.1 Dienst- und arbeitsrechtliche Zuordnung
Arbeitgeber können relativ frei bestimmen, welchen Ort sie dem Arbeitnehmer als erste Tätigkeitsstätte zuordnen. Allerdings darf diese Zuordnung nicht völlig losgelöst vom beabsichtigten Einsatzort des Arbeitnehmers sein. Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) setzt für die steuerliche Anerkennung der arbeitgeberseitigen Zuordnung voraus, dass der Arbeitnehmer an dem zugeordneten Ort zumindest „in ganz geringem Umfang“ tätig ist (z.B. indem er dort Auftragsbestätigungen abholt).
Ein berufliches Tätigwerden in ganz geringem Umfang ist nicht gegeben, wenn der Arbeitnehmer an den zugeordneten Ort lediglich Krank- oder Urlaubsmeldungen per Post oder durch Dritte (z.B. Familienangehörige) zustellt, denn Voraussetzung ist das persönliche Erscheinen des Arbeitnehmers vor Ort.
Beispiel
Ein Arbeitgeber ordnet einem Arbeitnehmer eine Betriebsstätte in München zu. Tatsächlich werden dort aber nur die Personalakten des Arbeitnehmers geführt, ausschließlich tätig wird dieser in einer Betriebsstätte in Augsburg.
Lösung
Das Finanzamt erkennt die Betriebsstätte in München nicht als erste Tätigkeitsstätte an, da der Arbeitnehmer dort überhaupt nicht tätig ist. Die Zuordnung des Arbeitgebers „auf dem Papier“ hat somit keine steuerliche Bedeutung.
Für die Zuordnung zu einer Tätigkeitsstätte ist es aber nicht erforderlich, dass der qualitative Tätigkeitsschwerpunkt des Arbeitnehmers an dem zugeordneten Ort liegt.
Damit die dienst- und arbeitsrechtliche Zuordnung des Arbeitnehmers vom Finanzamt anerkannt wird, sollte sie eindeutig dokumentiert werden.
Insbesondere folgende Nachweise erkennen die Finanzämter an:
• Regelungen im Arbeits- oder Tarifvertrag
• Protokollnotizen
• dienstrechtliche Verfügungen
• Einsatzpläne
• Reiserichtlinien
• Reisekostenabrechnungen
• Organigramme des Arbeitgebers
Auf eine Zuordnung des Arbeitnehmers zu einer bestimmten Tätigkeitsstätte können die Finanzämter auch daraus schließen, dass der Arbeitgeber
• dem Arbeitnehmer für dortige Einsätze keine Reisekosten gezahlt hat
oder
• bei Dienstwagennutzung des Arbeitnehmers für dessen Fahrten dorthin geldwerte Vorteile besteuert hat.
Hinweis
Die Entscheidung, ob bzw. wo ein Arbeitgeber die erste Tätigkeitsstätte des Arbeitnehmers dienst- oder arbeitsrechtlich festlegt, kann durchaus von steuerstrategischen Überlegungen geleitet sein. Als Arbeitgeber sollten Sie einzelfallabhängig – und am besten zusammen mit uns – überprüfen, ob bzw. in welchem Fall eine Zuordnungsentscheidung überhaupt steuerlich sinnvoll für Ihre Arbeitnehmer ist. Trifft ein Arbeitgeber keine Zuordnungsentscheidung, wird die erste Tätigkeitsstätte nach sogenannten quantitativen Kriterien des EStG bestimmt (siehe Punkt 2.4).
2.3.2 Dauerhaftigkeit der Zuordnung
Allein die Tatsache, dass ein Arbeitnehmer einer bestimmten Tätigkeitstätte zugeordnet wurde, genügt jedoch noch nicht zur Annahme einer ersten Tätigkeitsstätte. Es muss hinzukommen, dass diese Zuordnung auch dauerhaft vorgenommen wurde. Davon geht das Finanzamt insbesondere aus, wenn der Arbeitnehmer
• unbefristet,
• für die komplette Dauer des (unbefristeten oder befristeten) Dienstverhältnisses
oder
• über einen Zeitraum von mehr als 48 Monaten
an der entsprechenden Tätigkeitsstätte tätig werden soll.
Beispiel
Ein Architekt wurde befristet angestellt. Für die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses hat ihn sein Arbeitgeber einem bestimmten Tätigkeitsort zugeordnet.
Lösung
Da der Architekt für die gesamte Dauer seines befristeten Dienstverhältnisses einem Ort zugeordnet worden ist, hat er dort seine erste Tätigkeitsstätte.
Hinweis
Die Finanzverwaltung geht bei einer sogenannten Kettenabordnung nicht von einer dauerhaften Zuordnung zu einer Tätigkeitsstätte aus, wenn die einzelne Abordnung jeweils einen Zeitraum von höchstens 48 Monaten umfasst. Damit können Arbeitgeber und Arbeitnehmer das Entstehen einer ersten Tätigkeitsstätte vermeiden, wenn sie bei einer über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus geplanten Tätigkeit eine Kettenabordnung nutzen. Die Abordnung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber wird auf 48 Monate befristet. Falls der Arbeitnehmer auch nach Ablauf dieser Frist weiterhin an diesem Ort tätig werden soll, wird er erneut auf maximal 48 Monate befristet abgeordnet.
2.4 Quantitative Zuordnungskriterien
Das Gesetz bestimmt, dass eine erste Tätigkeitsstätte in diesem Fall an dem Ort anzunehmen ist, an dem der Arbeitnehmer
• typischerweise arbeitstäglich,
• je Arbeitswoche zwei volle Arbeitstage
oder
• je Arbeitswoche mindestens ein Drittel seiner vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit
tätig werden soll.
Diese an der Arbeitsdauer ausgerichtete Betrachtung setzt ebenfalls einen dauerhaften Einsatz voraus. Zudem ist hier erforderlich, dass der Arbeitnehmer an den Einsatzorten auch seine eigentlichen beruflichen Tätigkeiten ausübt. So ist eine Arbeitsstätte gemäß quantitativer Zuordnungskriterien unter Umständen keine erste Tätigkeitsstätte, obwohl der Arbeitnehmer dort typischerweise arbeitstäglich tätig wird.
Beispiel 1
Ein Monteur wurde von seinem Arbeitgeber keiner betrieblichen Einrichtung zugeordnet. Er holt aber täglich sein Arbeitsgerät auf dem Firmengelände ab.
Lösung
Der Arbeitnehmer sucht den Ort zwar arbeitstäglich auf, hat dort aber nach quantitativen Kriterien keine erste Tätigkeitsstätte, weil er dort nicht seinem eigentlichen Beruf nachgeht, sondern nur vorbereitende Tätigkeiten ausübt.
Beispiel 2
Ein Busfahrer muss seinen Bus bei Arbeitsbeginn stets an wechselnden Stellen im Stadtgebiet aufnehmen; mindestens einmal die Woche ist er in der Geschäftsstelle seines Verkehrsbetriebs, um dort seine Kasse abzurechnen.
Lösung
Die Geschäftsstelle kann nach quantitativen Kriterien nicht zur ersten Tätigkeitsstätte werden, da der Busfahrer dort nicht seine eigentlichen beruflichen Tätigkeiten ausübt.
Achtung:
Sein Arbeitgeber kann ihn aber arbeitsrechtlich der Geschäftsstelle zuordnen, so dass seine erste Tätigkeitsstätte dann dort zu verorten ist.
Wenn Arbeitnehmer an mehreren Orten tätig sind, die alle die quantitativen Kriterien erfüllen – etwa bei Einsatz an zwei Orten mit jeweils zwei bzw. drei vollen Arbeitstagen je Woche –, kann der Arbeitgeber einen Ort als erste Tätigkeitsstätte bestimmen. Tut er das nicht, gilt derjenige Einsatzort als erste Tätigkeitsstätte, der der Wohnung des Arbeitnehmers am nächsten liegt.
Hinweis
Diese gesetzliche Regelung ist durchaus arbeitnehmerfreundlich, denn die Fahrten zu den weiter entfernt liegenden Einsatzorten kann der Arbeitnehmer dann nach Reisekostengrundsätzen (0,30 € pro gefahrenem Kilometer, gegebenenfalls mit Verpflegungsmehraufwand) abrechnen. Daher kann es sich lohnen, wenn der Arbeitgeber keine Bestimmung zur ersten Tätigkeitsstätte trifft.
2.5 Sammelpunkte und weiträumige Arbeitsgebiete
Sucht ein Arbeitnehmer auf Weisung seines Arbeitgebers arbeitstäglich einen sogenannten Sammelpunkt auf (wie etwa ein Busdepot, einen Fährhafen oder einen Treffpunkt für einen betrieblichen Sammeltransport), so dürfen seine Fahrten von der Wohnung zum Sammelpunkt nur mit der Entfernungspauschale abgerechnet werden – obwohl keine erste Tätigkeitsstätte vorliegt. Denn laut Gesetz werden solche Fahrten wie Fahrten zur ersten Tätigkeitsstätte behandelt.
Hinweis
Treffen sich Arbeitnehmer an einem „privat organisierten“ Ort, um von dort eine Fahrgemeinschaft zu bilden, so ist dieser Ort kein Sammelpunkt im Sinne des Steuerrechts. Denn in diesem Fall hat der Arbeitgeber diesen Ort nicht bestimmt, so dass die Fahrten dorthin nach Reisekostengrundsätzen abgerechnet werden dürfen.
Die gute Nachricht für Arbeitnehmer: Die Sammelpunktregelung schränkt nur den Abzug der Fahrtkosten ein. Für andere Kostenarten liegt weiterhin eine berufliche Auswärtstätigkeit vor, so dass Arbeitnehmern auch bei Sammelpunkten Verpflegungsmehraufwendungen und Übernachtungskosten absetzen können.
Beispiel
Ein Busfahrer muss arbeitstäglich 30 km von seiner Wohnung zu einem Busdepot fahren, um dort seinen Bus abzuholen. Er verlässt die Wohnung morgens um 6 Uhr und kehrt um 16 Uhr zurück.
Lösung
Die Fahrten zum Depot dürfen nur mit der Entfernungspauschale von 0,30 € pro Entfernungskilometer, somit mit 9 € täglich als Werbungskosten abgerechnet werden. Gleichwohl darf der Arbeitnehmer pro Tag einen Verpflegungsmehraufwand von 14 € geltend machen, da er sich mehr als acht Stunden außerhalb seiner ersten Tätigkeitsstätte aufhält.
Hinweis
Auch ein Zugbegleiter, der arbeitstäglich am Betriebssitz des Arbeitgebers Unterlagen entgegennimmt und nach Dienstende dort die während des Zugbetriebs erwirtschafteten Einnahmen einzahlt, begründet am Betriebssitz einen Sammelpunkt. Dies hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz in einem Urteil aus dem Jahr 2016 entschieden. Demnach kann er die Fahrten vom Wohnort zum Sammelpunkt nur im Rahmen der Entfernungspauschale abrechnen.
Wie Fahrten zur ersten Tätigkeitsstätte behandelt werden auch Fahrten zu weiträumigen Tätigkeitsgebieten (wie etwa ein Forstbezirk), die der Arbeitnehmer auf Weisung seines Arbeitgebers zur Aufnahme seiner Tätigkeit typischerweise arbeitstäglich aufsuchen muss.
Von dieser Regelung sind insbesondere Hafen- und Forstarbeiter oder Zusteller betroffen. Der Abzug von Verpflegungspauschalen und Übernachtungskosten bleibt allerdings auch in diesen Fällen erlaubt. Auch dürfen die Fahrten innerhalb des weiträumigen Arbeitsgebiets weiterhin nach Reisekostengrundsätzen (mit 0,30 € pro gefahrenem Kilometer) steuerlich abgesetzt werden.
Hinweis
Das BMF hat allerdings ausdrücklich erklärt, dass Schornsteinfeger und mobile Pflegekräfte, die verschiedene Personen zuhause betreuen, ebenso wie Bezirksleiter und Vertriebsmitarbeiter, die verschiedene Niederlassungen betreuen, nicht von der Fahrtkostenkappung bei weiträumigen Tätigkeitsgebieten betroffen sind. Das heißt: Sie können ihre Fahrtkosten weiterhin nach Reisekostengrundsätzen abrechnen (auch die Anfahrten zu ihrem Gebiet).